SYNOPSIS

Im Jahr 1933 erschießt Aurora Rodríguez ihre achtzehn Jahre alte Tochter Hildegart im Schlaf. Mit dieser brutalen Tat setzt die Mutter nicht nur dem Leben ihrer Tochter, sondern auch ihrem politischen Lebensprojekt ein radikales Ende. Hildegart sollte ihre Vision einer idealen Frau verkörpern, doch die Tochter emanzipierte sich zunehmend von den streng vorgezeichneten Vorstellungen der Mutter und beginnt ihren eigenen Weg zu gehen.

LANGINHALT

Die Geschichte von Hildegart Rodríguez lässt zunächst absurde Fiktion vermuten: Ein Kind, gezeugt und erzogen als Werkzeug; als Mittel zum Zweck, das beseitigt wird, weil es autonom sein wollte.

Die im ausgehenden 19. Jahrhundert im ländlichen Spanien geborene Aurora Rodríguez wächst in einer männlich dominierten Gesellschaft auf, deren Fesseln sie nachhaltig prägen. Als Widerstand gegen die unüberwindbare Macht des Patriarchats realisiert sie den kompromisslosen Plan, ein Mädchen zu bekommen, um es nach ihren Idealen zu formen und zu prägen: Aus ihr soll das Modell einer überfrau werden, eine Mutter aller Mädchen, die für Emanzipation und Gleichberechtigung kämpft. Eine politische Aktivistin, die sich für Frauen, Arbeiter und sozial Schwache einsetzt. Durch strenge Erziehung und breite gesellschaftspolitische wie geisteswissenschaftliche Bildung soll Hildegart zur größten feministischen Aktivistin ihrer Zeit werden. Der Mutter selbst war eine fundierte Bildung verwehrt geblieben, eine Lücke in ihrer Biographie, die sie durch die Tochter zu schließen versucht.

Hildegart wird nach einem generalstabsmäßigen Erziehungsprogramm und in enger Symbiose mit ihrer Mutter erzogen. Sie wird zu Hause unterrichtet und hat keinen Kontakt zu Gleichaltrigen. Nach einer anfänglich beeindruckenden Karriere – im Alter von drei-zehn Jahren nimmt Hildegart ihr Jura-Studium auf, bis zu Ihrem Tod beherrscht sie mehrere Sprachen fließend und verfasst eine Reihe von Büchern und Broschüren – wird sie von ihrer Mutter im Schlaf erschossen. Als Hildegart beginnt, die intensive Beziehung zu ihrer Mutter zu entflechten, hat diese keine Verwendung mehr für sie.

Der Zwang, den Vorstellungen der Mutter entsprechen zu müssen, bildet das Kernstück so mancher problematischer Mutter-Tochter-Beziehung. Für Hildegart bedeutet das nicht weniger, als die Welt mit ihrem vorbestimmten Dasein als „Superwoman" verändern zu müssen.

Die Grazerin Barbara Caspar (WHO´S AFRAID OF KATHY ACKER? / 2008) lässt vor dem Hintergrund dieses radikalen „Fall Rodríguez" Frauen verschiedenen Alters, darunter Soziologinnen und FEMEN-Aktivistinnen zu Wort kommen und über das Selbstverständnis von Frauen knapp 100 Jahre später reflektieren. Zentrale Fragen dabei sind: Welche Rolle spielen individuelle Mutter-Tochter-Beziehungen für das Selbstbild als Frau und wo ist der Status quo der Emanzipation heute zu verorten.

HILDEGART – ODER PROJEKT: SUPERWOMAN regt zum Nachdenken über große Themen wie Eugenik, Bildung und Feminismus an und vermag diese Aspekte unaufdringlich und eindrücklich miteinander in Bezug zu setzen.

ZUR WAHREN GESCHICHTE VON HILDEGART UND AURORA

Hildegart Rodríguez lebte von 1914 bis 1933 in Spanien als Kunstprodukt ihrer Mutter. Dementsprechend ist ihre Geschichte nur aus der Perspektive der Mutter Aurora begreiflich. Diese stammte aus einer wohlhabenden Familie, erhielt jedoch nie eine fundierte schulische Ausbildung, sondern bildete sich selbst auf der Grundlage verschiedener Theorien aus, darunter marxistische Schriften, Schriften über Eugenik, aber auch über Charles Fourier, den „Vater" des Feminismus.

Als sensible, scharfe Beobachterin sozialer wie sexueller Ungerechtigkeit begann sie, Vorträge in ihrem Heimatort El Ferrol zu halten, die die Männer Achtung gegenüber Frauen lehren sollten. Ihr Engagement blieb erfolglos. Nach dem Tod der Eltern begab sie sich mit ihrem geerbten Vermögen auf die Suche nach einem Mann, um sich von diesem schwängern zu lassen. Als Produkt dieses freud- und lieblosen „Geschäfts" wurde 1914 die Tochter Hildegart geboren. Hildegart sollte zur Leitfigur sexueller und sozialer Aufklärung werden. Mit drei Jahren konnte sie bereits lesen, mit acht beherrschte sie mehrere Fremdsprachen, im Alter von dreizehn Jahren beendete sie die Schule und schloss als Sechzehnjährige ihr Jura-Studium ab. Daneben beschäftigte sie sich mit Philosophie, Feminismus und Sexualwissenschaften. Im Alter von siebzehn Jahren hatte Hildegart bereits mehrere Schriften veröffentlicht und galt als Wunderkind ihrer Zeit.

Hinter all diesen Aktivitäten stand ihre Mutter Aurora als bedingungslose Impulsgeberin, die ihre Tochter akribisch zur Superwoman ausbildete. Zeitgleich entzog sich Hildegart allerdings zunehmend ihrer Mutter. Die Selbstbestimmung, die Hildegart andere lehrte, begann sie nun auch für sich selbst einzufordern. Das Projekt war gescheitert und Aurora als Initiatorin sollte es nun auch abschließen.